Jedes zweite Kind hat Sprachdefizite

 Nordbremer Praxis für Logopädie berichtet von langer Warteliste

Sprachprobleme können dazu führen, dass die Kinder sich im Unterricht nicht mehr beteiligen.Symbolfoto: fr

Artikel vom: 08.12.2024

Bremen (nik) – Die Sprachförderung im Grundschulalter bleibt ein wiederkehrendes Thema für die Politik. Der Senat hat dazu vergangene Woche einen Fragenkatalog der FDP-Bürgerschaftsfraktion beantwortet. Die Abgeordneten wollten wissen, wie aktuelle Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen vom Senat bewertet werden und wie sich die Situation in den vergangenen zehn Jahren entwickelt habe. Weitere Fragen betreffen die Ausbildungsplätze und Versorgungslage im Bereich Logopädie. Der Antwort des Senats zufolge ist die Anzahl der diagnostizierten Förderbedarfe in den vergangenen zehn Jahren angestiegen. Im Jahr 2014 gab es 11296 Arztverweisungen, im Jahr 2023 waren es 13193.

Der Senat verlässt sich bei den Untersuchungen auf das digitale Tool „Primo“ (früher Cito), bei dem die Kinder am Computer Aufgaben lösen. Damit ist laut Herstellerangaben möglich, „passiven Wortschatz, kognitive Begriffe, phonologische Bewusstheit und Textverständnis“ festzustellen. Im vergangenen Jahr wurde mit Primo bei 47,9 Prozent der Kinder ein Sprachförderbedarf festgestellt. Dem Senat zufolge sei aus den Ergebnissen aber ein therapeutischer Bedarf nicht abzuleiten. Es sei auch nicht klar, wie viele Eltern den Arztverweisungen nachkommen. 

Sandra Molenda-Warneke vom Logopädie-Team Bremen-Nord in der Lindenstraße ist seit zehn Jahren in der Logopädie tätig und kann aus der Praxis berichten. Sie bestätigt im Großen und Ganzen die Befunde. Die Praxis führe eine Warteliste, da es seit längerem nicht mehr möglich sei, kurzfristige Termine im Bereich der Kindertherapie anzubieten. Der Bedarf werde meist rechtzeitig angemeldet, aber zeitnahe Chancen auf einen Platz seien häufig schlecht. Die Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren blieben dann nicht selten ein bis drei Jahre in Behandlung, was dann die Kapazitäten binde, sodass andere länger warten müssten. Je später die Kinder die Therapie beginnen, desto mehr könnten sich Sprachdefizite verfestigen.  

In der Praxis werden auch häufig Förderbedarfe in anderen Bereichen festgestellt: „Manche Kinder bräuchten eigentlich erstmal Ergotherapie. Die Sprachentwicklung ist häufig nur eines der Probleme.“ Die Kinder würden in der Schule natürlich selbst merken, dass sie hinterher hängen, und sich wegen daraus entstehender Frustration aus der Beteiligung am Unterricht zurückziehen. Sie würden Scham verspüren sich zu melden, weil sie von anderen gehänselt werden könnten. Auch so würden sich Probleme verfestigen. Man müsse auch differenzieren, welcher Bedarf einen therapeutischen Hintergrund hat und welche Defizite daher rühren, dass zuhause kein oder fehlerhaftes Deutsch gesprochen wird.

Ein großes Problem bei der Terminvergabe sei, dass diese außerhalb der Schulzeit liegen müssen. Auch deshalb regt sie an, dass Logopäden vermehrt in den Schulen und Kindergärten zum Einsatz kommen: „Es bräuchte ein Budget, Logopäden bei der Stadt anzustellen, die dann fest in den Schulen arbeiten.“ Der Senat spricht sich für den Einsatz „multiprofessioneller Teams“ aus. Was die Versorgung betrifft, sieht man keine „Fachkräftelücke“ und entsprechend auch keinen Handlungsbedarf. Pro Jahr könnten 60 Logopäden ausgebildet werden. Die Wartezeit auf einen Therapieplatz wird in der Antwort des Senats mit durchschnittlich 5,4 Tagen beziffert.

Sandra Molenda-Warnke betont auch die Verantwortung der Eltern und gibt praktische Ratschläge: Eltern sollten sich die Zeit nehmen, ihren Kindern aufmerksam und wertschätzend zuzuhören. Statt Fehler direkt zu korrigieren, empfehle sich, beim Antworten das Gesagte in richtiger Form zu wiederholen. Offene Fragen zu stellen, könne die Erzählfähigkeit der Kinder verbessern und ihnen Möglichkeiten geben, ihre sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten zu erweitern.


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