„Wer bestimmt die Regeln?“
Claudia Schwinning vom gleichnamigen Edeka Center, Jörn Gieschen, Geschäftsführer vom Vegesack Marketing e. V., Falk Witte und Andreas Bettray vom WIR, Werner Pohlmann, Geschäftsführer der Leffers GmbH, und Nils Winter, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei Bremen (von links). Foto: as
Artikel vom: 06.11.2024
Vegesack (as) – Der Wirtschafts- und Strukturrat (WIR) Bremen-Nord e. V. hatte mit der Handelskammer Bremen zum Dialog Forum eingeladen. Thema war „Sicherheit in Bremen-Nord – ein wesentlicher Standortfaktor für Unternehmen!“ Zahlreiche Akteure und Gäste waren der Einladung ins Geschichtenhaus gefolgt. Falk Witte und Andreas Bettray führten durch den Abend. Rainer Küchen, Vorsitzender des WIR, begrüßte die Gäste und betonte, wie brisant das Thema Sicherheit sei.
Olaf Orb – Geschäftsführer Standortpolitik der Handelskammer Bremen - IHK für Bremen und Bremerhaven, führte mit den Worten ein, dass das Thema komplex sei. Bei einer Standortumfrage 2023 seien die wichtigsten Faktoren abgefragt worden. Nummer eins der Standortthemen bei den Unternehmen sei „Sicherheit, Sauberkeit und öffentliche Ordnung“. „In den vergangenen zwei Jahren hat sich etwas spürbar nicht zum Guten verändert. Die Gesellschaft verroht“, so Olaf Orb. Drogen- und Kriminalitätsproblematiken wüchsen an, wie auch die Beschaffungskriminalität und das offene Dealen mit Drogen. Dadurch könne es sein, dass sich die Kunden ab- und dem Onlinehandel zuwenden. Zudem gebe es Schäden durch Einbrüche und Diebstahl, die Mitarbeitenden würden bedroht und überfallen. „Wer bestimmt die Regeln, nach denen wir als Stadtgesellschaft zusammenleben? Wem gehört der öffentliche Raum?“, fragte er. „Wir müssen uns doch darin bewegen können! Hat die Politik die Dramatik der Lage erkannt?“ Gleichzeitig verdeutlichte er: „Wir reden über Menschen, die Hilfsangebote benötigen.“
Soweit die Kassenlage es zulasse, soll mehr Polizei unterwegs sein. Ein weiteres wichtiges Element sei die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz. Ein gutes Instrument seien Waffenverbotszonen, und es gebe keine Alternative zu Drogenhilfestrategien. Schaufenster sollen besser ausgeleuchtet sein und bei der Sauberkeit müsse man nachsetzen: „Wo es sauber ist, verhält man sich anders.“
Jan Müller, Leiter der Polizeiabteilung Nord-West – „von Farge bis Findorff“ –, stellte klar, dass das Thema sich objektiviere, wenn man auf andere Stadtteile sehe. Kriminalität habe es immer schon gegeben. Bei wachsenden Stadtgemeinden und Bevölkerung erhöhten sich auch die Kriminalitätszahlen. Der Bedarf an Polizei wachse. Anhand der Polizeilichen Kriminalstatistik führte er aus, dass die Zahl der Straftaten zugenommen habe: in Bremen-Nord 2023 5,3 Prozent mehr als 2022; 7914 Straftaten. Treiber seien die Massendelikte, die mit Eigentum zu tun hätten. Der Versuchsanteil sei hoch, die Aufklärungsquote niedrig. Oft handele es sich um Beschaffungskriminalität. „Die Seuche unserer Zeit ist Crack“, erklärte er. Die Streetworker seien verzweifelt ob des Aufkommens und für die Polizei sei das kaum händelbar. Zudem seien Straftaten in diesem Bereich schwer zu ahnden. Im Anschluss wurde die polizeiliche Sicherheitsbefragung im Land Bremen von 2022 vorgestellt. Die meisten Menschen seien mit ihrer Wohngegend, dem sozialen Zusammenhalt und der Polizei zufrieden, allerdings seien zu wenig Polizisten zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs.
Zum Thema subjektives Sicherheitsgefühl hätten drei Viertel angegeben, dass sie die Gefahr als gering einschätzten, Opfer einer Straftat zu werden. 52,3 Prozent der 28800 Befragten gaben an, 2021 Opfer einer Straftat geworden zu sein, ein Drittel habe diese angezeigt. Verwiesen wurde auf die nächste Sicherheitsbefragung in 2025, dann habe man auch Vergleichsmöglichkeiten. Der Bericht ist unter www.inneres.bremen.de/dokumente/berichte zu finden.
In einer ersten Podiumsdiskussion berichtete unter anderem Claudia Schwinning vom gleichnamigen Edeka-Center, dass sie jeden zweiten Tag ein Delikt zu verzeichnen habe. Die Täter würden brutaler und der Schaden immer größer. 70000 Euro Inventarschaden habe sie im Jahr zu verzeichnen. Sie würde sich wünschen, dass die Straftaten gezielter verfolgt würden. Rainer Küchen merkte an, dass es ein beschleunigtes Verfahren mit einer verkürzten Ladungszeit von 24 Stunden und einer Bestrafungsmöglichkeit bis zu einem Jahr gebe. Bremen mache kaum Gebrauch davon und Staatsanwälte fehlten.
Werner Pohlmann, Geschäftsführer von Leffers, setzt in seinem Geschäft auf Manpower und Warensicherung. Was ihn mehr umtreibe, sei, wie die Fußgängerzone aussehe, die Leerstände; an vielen Stellen sei es dunkel, Laub liege herum.
Eine Befragung habe ergeben, dass Sauberkeit bei den Mitgliedern des Vegesack Marketing e. V. wichtiger sei als Sicherheit, berichtete Jörn Gieschen, Geschäftsführer des Vereins. Sichtbare Obdachlosigkeit und Bettelei sei für viele Menschen schwer auszuhalten.
Inklusion, sichere Räume für Jugendliche, eine Anlaufstelle für Frauen, Integration der Lüssumer Heide waren Wünsche, die in einer zweiten Podiumsdiskussion geäußert wurden. Zudem konnten sich der Präventionsrat und die Nachtwanderer Bremen-Nord sowie Bewohnertreff „Dünenwind“ aus Grohn vorstellen.
„Aufgrund der Brisanz der Thematik werden wir zukünftig auf jeden Fall weitere Aktivitäten und Veranstaltungen planen“, so Olaf Orb und Organisatorin Elfriede Dieke, zweite Vorsitzende des WIR.
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