„Ruhig bleiben, anschauen und auch mal aufgeben“
„Nehmt euch ein Beispiel an dieser Brombeere“ Foto: nik
Artikel vom: 04.03.2025
Platjenwerbe (nik) – Ein extrem botanischer Vortrag im Dorfgemeinschaftshaus Platjenwerbe fand großes Interesse im Heimatverein und darüber hinaus. Der überregional bekannte Vegetationskundler Jürgen Feder sprach über Neophyten. Das ist der Oberbegriff für Pflanzenarten, die seit dem Jahr 1500 in Europa heimisch geworden sind. Viele davon wurden durch menschliche Einwirkung verbreitet. Neophyten fänden in anderen Biotopen günstige Bedingungen vor, seien etwa weniger Konkurrenzdruck ausgesetzt.
Bestes Beispiel scheint der Bastard-Staudenknöterich zu sein. Entlang der Bahnstrecke zwischen Lesum und Vegesack gibt es kaum etwas anderes zu sehen. Das raumgreifende Gestrüpp wurde als Zierpflanze ursprünglich aus Japan importiert: „Die Leute staunten: Mensch, drei Meter hoch. Angeberei also, und nun haben wir den Salat.“ Das könne man aber wörtlich nehmen: Die Stängel taugen, in Maßen genossen, als Rhabarberersatz. Weil die Art mit starken Rhizomen in die Fläche gehe, verbreite sie sich auch über Bodentransporte. Er habe deshalb immer einen Klappspaten bei sich.
Jürgen Feder trägt das Sendeteil für ein kabelloses Mikrophon am Gürtel. Doch das scheint er nicht zu benötigen. Es ist schnell klar, wieso bei seiner schlagfertigen Art nicht einmal Stefan Raab zu Wort kam. Sein Vortrag bezieht das Publikum ein. Zahlreiche frische und getrocknete Pflanzenteile werden durch die Reihen gereicht.
Die armenische wintergrüne Brombeere wurde wahrscheinlich von Gastarbeitern mitgebracht. Diese Brombeere habe auf dem BWK-Gelände einen Bremer Rekord aufgestellt: eine 19 Meter lange Ranke, die sich über eine Asphaltfläche streckte. „Nehmt euch ein Beispiel an dieser Brombeere!“ würdigte Jürgen Feder das Gewächs und seine Zielstrebigkeit. „Gegen die haben wir längst verloren, aber ich finde die gut: Sie zeigt uns Grenzen auf.“ Selten gewordene Laubfrösche, Insekten und Vögel könnten sich darin verstecken und es gebe etwas zu essen: „Ich verschenke nur noch Brombeermarmelade.“ Wie bei vielen Pflanzen würden ihre Stacheln irrtümlich als Dornen bezeichnet: „Natürlich müssen wir aufklären, aber wer vermittelt das noch?!“
Grundsätzlich ist er aufgeschlossen gegenüber den neuen Arten. „Die Natur ist immer dynamisch.“ Wenn man etwas bemerke, sei es meist eh schon zu spät: „Ruhig bleiben, anschauen und auch mal aufgeben.“ Bestimmte hitzeresistente Baumarten könnte man im städtischen Umfeld auch aktiv fördern: Der chinesische Götterbaum, auch als „Ghettopalme“ bekannt, sei so ein Klimabaum. „Das wollte ich fragen: Glauben Sie an den Klimawandel?“ „Ja, absolut. Das sehe ich an den Arten“, antwortet Feder. Auch Tiere und insbesondere Pilze könnten dies bezeugen. Die Vegetationsperioden würden sich merklich in den Winter ausdehnen.
„Man kann sagen, die Siedlungen werden immer artenreicher, die Landschaften artenärmer. Der Wald ist gesättigt, unser reichster Biotoptyp. Deshalb wachsen Neophyten nur an den Wegen oder in Einschlägen.“ Die Förster hätten riesige Gebiete: „Die kennen seit der Zusammenlegung ihre Reviere nicht mehr.“ Das Drüsige Springkraut aus Indien, früher auch Bauernorchidee genannt, wurde von Imkern als Nutzpflanze betrachtet. Die Samen springen bis zu sechs Meter weit. Auch die Kartoffelrose wurde absichtlich aus China importiert und als „natürlicher Zaun“ auf den ostfriesischen Inseln zur Dünenbefestigung gepflanzt. Dort könne sie nur noch abgebaggert werden.
Jürgen Feder ist es ein wichtiges Anliegen, dass Menschen mit offenen Augen durch die Welt gehen und so die Wahrnehmung ihrer Umgebung schärfen. Man kann ihm das Sendungsbewusstsein nicht absprechen: „Kahlschlagwirtschaft, wie die Bekloppten. Waldrodung ohne Ende.“ Vom Klima werde viel geredet, dabei komme die Ökologie zu kurz. „Wenn Arten neu sind und dann wieder zurückgehen, sollen sie geschützt werden und landen auf der Roten Liste.“ Er ist auch gegen eine „schwarze Liste“ denn „dann gehen die Leute los und hauen alles um und verwechseln die Pflanze, die sie weghaben wollen.“ Das habe er schon öfter erlebt. Hier wurde eine Handvoll Arten aus sicherlich mehreren Dutzend herausgegriffen, die Jürgen Feder vorstellte. „Wir haben erst die Hälfte“ verkündete er gegen Ende des Vortrags, wovon man angesichts seiner Detailtiefe wohl ausgehen darf.
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